Angebots- und Publikumsfragmentierung online

Projektbeschreibung

Seit den 1990er Jahren wird in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Debatte um die Chancen und Gefahren einer Fragmentierung des Medienangebots und dessen Publikums geführt. Diese Debatte hat sich durch die Digitalisierung intensiviert. Fragmentierungsprozesse werden als Entgrenzungsphänomen moderner Massenkommunikation sowohl aus sozialer als auch ökonomischer Perspektive diskutiert (vgl. Webster & Ksiazek, 2012; Webster, 2005). Aus sozialem Blickwinkel stehen sie im Verdacht, gesellschaftliche Desintegrationsprozesse sowie Polarisierung, bspw. durch Filterblasen, zu fördern und somit sozialen Zusammenhalt, soziale Teilhabe und den kollektiven Willensbildungsprozess (Demokratieprinzip) zu gefährden (vgl. Katz, 1996; Warner, 2008; Tewksbury, 2005; u.a.). Aus ökonomischer Perspektive wird die Gefahr darin gesehen, dass eine Fragmentierung des Medienangebots und dessen Publikum eine Konsolidierung auf der Anbieterseite begünstigt. Diese wiederum zu Oligopolen und somit zu einer Verringerung der Medienvielfalt und damit einhergehend zur Einschränkung der publizistischen Funktion von Medienangeboten führt (vgl. Taneja, 2013; Ksiazek, 2011). Sowohl die Befürchtungen aus sozialer als auch aus medienökonomischer Perspektive bergen gravierende Gefahren für den politischen und ökonomischen Wettbewerb und somit für die Demokratie in sich.

Der Reichweite dieser gesamtgesellschaftlich äußerst relevanten Befürchtungen steht jedoch nur eine wenig belastbare empirische Datenbasis für NRW im Speziellen und für die Bundesrepublik auf nationaler Ebene gegenüber. Aus ökonomischer und sozialer Perspektive ist es daher geboten, den Fragmentierungsprozess online durch ein Monitoring zu begleiten, um Aussagen über den tatsächlichen Stand sowohl der Angebotsfragmentierung und Anbieterkonsolidierung als auch der Publikumsfragmentierung online zu gewinnen. Die Leitfrage beider Promotionen lässt sich somit wie folgt formulieren: Wie kann der Stand der Angebots- und der Publikumsfragmentierung in NRW und in der Bundesrepublik beschrieben werden und welche gesellschaftlichen Konsequenzen lassen sich daraus ableiten?

Der Mehrwert des Vorhabens gegenüber den bisherigen empirischen Studien zum Thema besteht darin, die für Deutschland wohl umfassendste, einzigartige, für diesen Zweck höchst relevante, jedoch noch nicht erschlossene Datenquelle zur Zuwendung zu Onlineangeboten zu erschließen. Diese soll dazu für die wissenschaftliche Nutzung aufbereitet sowie national- und international über den Bestandskatalog der GESIS zugänglich gemacht werden. In der MA-Internet wird seit 2010 jährlich die Reichweite und Nutzung von über 730 kommerziellen Onlineangeboten (50 mit einem eindeutigen Regionalbezug zu NRW) erfasst und von der ag.ma zur Verfügung gestellt. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, die bislang in dieser Detailliertheit und Aussagekraft fehlen, jedoch unbedingt nötig sind für die Bewertung der Folgen dieser Entwicklungen für die Demokratie, und dem Wissen um den Fragmentierungsprozess sowie dessen tatsächlichen Folgen, lassen sich abhängig von politischen Zielvorstellungen differenzierte Strategien in den Bereichen Medienkompetenz, -regulierung und -politik ableiten, um im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe eine Stärkung und Sicherung der Demokratie durch Digitalisierung zu erreichen.

Tandempromotionsprojekte

Promotionsprojekt 1:
Inga Brentel wird in ihrem Promotionsprojekt analysieren, ob die aus der Offlinewelt bekannte Entwicklung der Fragmentierung des Publikums auch in der Onlinewelt zu finden ist. Dabei gilt es zu untersuchen, inwiefern die Publikumsfragmentierung der Onlinewelt, insbesondere hinsichtlich des politischen Informationsangebots, mit einer parallel verlaufenden gesellschaftlichen Segmentierung einhergeht. Ein fragmentiertes politisches Informationsangebot bei Online-Medien kann durch eine Steigerung einer Angebots- sowie Meinungsvielfalt die Demokratie stärken. Geht der Fragmentierungsprozess jedoch mit einer Segmentierung des Onlinepublikums einher, kann die Integrationskraft der Medien im demokratischen Willensbildungsprozess sowie der gesellschaftlichen Teilhabe nicht wirken. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird dann durch Filterblasen in einer digitalen Gesellschaft gefährdet.

Promotionsprojekt 2:
Céline Fabienne Lücken wird sich im zweiten Promotionsprojekt der Frage widmen, wie die Werbung als Finanzierungsform von kommerziellen Online-Medien ihre publizistische Funktion der externen Vielfaltssicherung vor dem Hintergrund der zunehmenden Fragmentierung beeinflusst. Dabei soll der seit 2010 zunehmende Einfluss neuer Werbeformen („Programmatic Advertising“, „Native Advertising“) sowie die Vermeidung von Werbung (Ad-Blocking-Technologie) herausgearbeitet werden. Diese Ergebnisse werden in Verbindung mit den Erkenntnissen aus den „MA-Internet“-Daten Rückschlüsse auf die zur Stärkung der Demokratie so wichtige Vielfaltssicherung der Informationsangebote erlauben. Wird der Fragmentierungsprozess durch den Einfluss neuer Werbeformen und die Vermeidung von Werbung mit einer Konsolidierung der Informationsangebote einhergehen und durch Filterblasen eine Gefahr für die Vielfaltssicherung bestehen, können auf Basis der Erkenntnisse Anhaltspunkte für eine Medienregulierung gegeben werden.

In einem dritten Schritt werden die Befunde beider Promotionen miteinander verwoben, indem die Befunde aus der medienzentrierten Fragmentierung des Medienangebots und der publikumszentrierten Fragmentierung aus der Rezeptionsforschung zur zuschauerzentrierten Fragmentierung, zusammengeführt werden (vgl. Webster & Ksiazek, 2012). So kann der Anteil von Publikumsüberschneidungen und Publikumsfragmentierung je nach Marktsituation im Genre bestimmt werden. Schlussendlich sollen auf dieser Basis Gouvernement-Strategien zur Förderung der Medienvielfalt in NRW und Deutschland formuliert werden.